Die Lawinenkatastrophe vom 9. Februar 1984

Ein Erlebnisbericht

«Nachmittags arbeitete ich in der Bibliothek, es war düster, und bald nach 14 Uhr gab es einen Stromausfall – seit eine Ringleitung besteht, dauert die Panne nie mehr lang; als Novizen mussten wir für den Winterchor stets die Kerzen in Bereitschaft halten. Gegen 15 Uhr wollte ich an der Pforte etwas holen, dort vernahm ich, die Placilawine sei heruntergekommen. Der Blick aus dem Bibliotheksfenster nahm sich dann recht seltsam aus: zwischen Placi-Kirche und Disentiserhof klaffte eine ungewohnte Lücke, nur ein paar dürre Lärchen ragten ins Leere. Beim Nachmittagskaffee kursierte die Nachricht, der Lawinenchef sei verschüttet worden, man habe ihn jetzt gefunden, tot. Gab man einem weiter, Strassen- und Bahnbrücke seien weggerissen worden, erhielt man ein ungläubiges Lächeln. Noch vor Einbruch der abendlichen Dunkelheit verschaffte ich mir einen Augenschein. Das Ausmass der Katastrophe überstieg jedes Vorstellungsvermögen. Aus dem Hotel Disentiserhof kam unaufhörlich die Evakuierungsschlange, geschlagen wie die Bourbaki-Armee.

 

Zur Zeit des Lawinenniedergangs, um 14.07 Uhr, waren alle Häuser belebt. Im Hause Schlumpf befanden sich 7 Personen im Balkonzimmer; die angrenzenden 2/3 des Hauses riss die Lawine mit sich. Der Speisesaal des Disentiserhofes war leer, das Mittagessen vorbei; die Lawine stopfte ihn bis 50 cm unter die Decke mit Schnee, hart wie Beton. In der angrenzenden Bar wurden 3 Personen im Schnee festgepresst, sie konnten befreit werden. Der die Schneeschleuder bediente, war kurz vorher ins Haus gegangen; nachher lag die Maschine unter den gefallenen Bäumen, nicht anders als die etwa 10 parkierten Personenwagen. Niemand hatte sich auf dem Parkplatz aufgehalten. Nur die Kehrrichtmänner beluden gerade den Camion vor dem Hoteleingang; einer fand unter dem Lastwagen Sicherheit, der andere sprang rückwärtig in die Kehrichtmulde. Gottes Vorsehung hat Disentis vor einer unabsehbaren Katastrophe bewährt.»

 

Quelle: Schönbächler, P. D. (1984): Die Lawinenkatastrophe vom 9. Februar 1984. In: Disentis, 51. Jahrgang, Heft 2. Seite 2 – 3.